New York - eine Stadt verarbeitet nach den Terroranschlägen 2001
Von Christine Schlech
"New York wird nie wieder dieselbe Stadt sein", so die Worte von Werner Schmidt aus dem German Information Center nach dem Anschlag. Wie Recht er hatte!
Aus der Stadt der Singles und Selbstsüchtigen, die eilig die Straßen entlang hetzten, wurde eine Stadt, die zusammenhält. Plötzlich sehen sich die Menschen auf der Straße in die Augen, wildfremde Leute sprechen Dich in der Subway an, um das Erlebte mit jemandem teilen zu können.
Am Union Square Massen von Trauernden, die gemeinsam singen, beten und in ihrer letzten Hoffnung Bilder von Vermißten aufhängen.
Diese Bilder verfolgen mich. In der U-Bahnstation, im Central Park, ... in meinen Alpträumen.
"Wer hat meinen Daddy gesehen?" heisst es unter einem Foto, das zwei Jungs umhertollend mit ihrem Vater zeigt. Er arbeitete im 89. Stockwerk des WTC1. Eine weinende Frau kommt auf mich zu. Ich sähe ihrer Tochter sehr ähnlich. Auch sie vermißt - seit dem 11. September 2001. Cathy hieß sie. 23 Jahre alt. So alt wie ich.
Ich muß hier weg! Weg von dem Schmerz, weg von den Friedenslieder spielenden Hippies, die sich am Union Square zu einer Art kollektiven Trauereinrichtung manifestiert haben.
Ich setze mich in den Bus und fahre Uptown Manhattan.
Dort gehen die Menschen anders mit ihrer Trauer und Wut um.
Auf der Upper East Side kommt eine Frau mit Tüten bepackt aus dem Designerladen. Shoppen - eine beliebte Art der Verdrängung unter New Yorkern. Etwas weiter - ein Priester. Eine Menschentraube schart sich um ihn. Worte von Jesus scheinen gut zu tun in Zeiten, in denen der Präsident von Vergeltung spricht.
Die Kirchen sind seit letzter Woche überfüllt. "So voll wie seit dem Vietnamkrieg nicht mehr" erzählt Pastor David Wilkerson von der Times Square Church.
Andere können mit der Kirche nicht viel anfangen. "Zeit der Vergeltung"
steht in großen Lettern auf der Heckscheibe eines Pickup-Trucks, der über und über mit der amerikanischen Flagge geschmückt ist.
Die amerikanische Flagge. Ein Symbol des "Wir halten zusammen", "Wir lassen uns nicht unterkriegen".
Die Stars und Stripes bedecken und umhüllen ganz New York. Auf T-Shirts, Fahnen oder Schleifen. Geschäftstüchtige Straßenhändler erkannten den Absatzmarkt sofort.
Ein regelrechter 'Run' auf Karten und gerahmte Bilder mit dem World Trade Center ist ausgebrochen.
Vor zwei Wochen doch gab es die Bilder für 10 $, heute zahlen Souvenirjäger 50$. Und sie tun es gerne. Ist es doch ein letztes Zeugnis, ein letztes Erinnerungsstück an die ehemals heile USA Welt. Die Skyline noch vollständig, die Twin Towers - Symbol der wirtschaftlichen Macht der USA - thronend über Manhattan.
Am 11. September 2001 wurde New York die Skyline genommen.
Am 11. September 2001 wurde einem in Selbstzufriedenheit ruhendem Amerika das Ego genommen. Und es wird dauern beides wieder aufzubauen.
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