Seeleute, Rocker und Ex-Knacki’s – so oder ähnlich lauten die Pauschalurteile, denen der Tätowierte in der viktorianischen Zeit und Welt bis ins 20ste Jahrhundert begegnet(e).
Wie passen Frauen in das Seeleute Klischee? Eine tätowierte freie Schulter in der Oper? Nun, einen schnellen Blick sicher allemal wert, ansonsten natürlich „verwerflich“?
Der alte Kampf zwischen bravem Bürger und revolutionärer Jugend? So fing alles an, als das Tattoo den Einzug in die Normalgesellschaft fand, also so ungefähr in den späten 80er Jahren.
Wie kam es zur Tätowierung, zur gesellschaftlichen Ächtung und Rehabilitation?
Tattoo Geschichte
Die Geschichte zeigt das Tattoo in anderem Licht. Könige und bürgerliches Volk, polynesische Seefahrer Völker im Südpazifik (Maori in Neuseeland sind ein gutes Beispiel) und natürlich auch Seeleute – sie alle trugen ihn, den Körperschmuck.
Belege und Berichte aus Ägypten, Grönland, Japan und Neuseeland geben Auskunft darüber, wie alt die Tradition eigentlich ist. Bei den Maori’s und Insel Bewohnern im Pazifik diente die permanente Körperkunst oft zur Abgrenzung der sozialen Klassen, aber auch als religiöses Symbol für das Leben nach dem Tod.
Japaner kennen seit dem späten 18. Jh. den „body suit“, eine Ganzkörper-Tätowierung, die als Protestaktion gegen den Erlass des Verbotes von bestimmten Kimonos, die bei verbotenen Feierlichkeiten getragen wurden, zu verstehen war. Nun tätowierte man sich schlichtweg die bunten Symbole auf die Haut. Aber Japan hat einige Wandlungen in seiner Stellung zum Tattoo durchwandert. Um 300 nach Christus findet man Aufzeichnungen, die darüber berichten, dass Tätowierungen in Japan als Schmuck getragen wurden. Dies änderte sich in den folgenden Jahrhunderten drastisch. Vermutlich übernommen von den Chinesen, die Tattoos als barbarisch betrachteten (außer beispielsweise von den Drung und Dai Minderheiten), wurde das Tätowieren ab ungefähr 600 n.Chr. auch in Japan geächtet und -wie bei den Chinesen schon vorher- als Kennzeichnung für Kriminelle benutzt.
Auch auf dem nordamerikanischen Kontinent stiessen die Entdecker im 17. und 18. Jh. auf einheimische Stämme, die schon seit langer Zeit das Tätowieren kannten und es in sozialem oder religiösem Sinne gebrauchten. Zugehörigkeit zu einem Stamm oder Heldentaten in Schlachten konnten durch Tattoo’s ausgedrückt werden. Oder man wollte furchteinflössend auf Feinde wirken, wie es der Stamm der Huronen zum Beispiel praktizierte. Bei den Inuiten im kalten Norden war die Tätowierung bei Frauen ein Ausdruck von Reife. Frauen der Osage und Cree sahen einen Schutz vor dem Bösen sowie Krankheiten durch Linien und Punkt-Tätowierungen am Kinn gegeben. Mohave-Frauen hingegen wollten ihre Schönheit unterstreichen.
Europäer, die nach Nordamerika kamen, betrachteten diese Tätowierung oft als heidnisch oder sogar teuflisch.
Insgesamt zeigen die Aufzeichnungem der frühen Reisenden und Entdecker in der Welt, dass die Kunst mindestens bis 10.000 oder 15.000 v.Ch. zurückreicht.
Man erinnere sich auch an den Fund des „Ötzi“ im Jahre 1991 in den Alpen. Professor Konrad Spindler von der Universität Innsbruck (Institut für Ur- und Frühgeschichte) beschrieb, dass die Haut des „Mannes im Eis“, der ca. als 5.000 Jahre alt eingestuft wurde, verschiedene Tätowierungen trug. Einige Ausgrabungsfunde, die auf mehr als 10.000 Jahre v. Chr. zurückdatiert werden, sind als frühe Instrumente zum Tätowieren eingestuft worden.
Seeleute und das Tattoo
Bekannt wurde „Tattooing“ vielleicht erst mit Captain Cook, als er bei seinen Pacific-Reisen Mitte des 18. Jh. nicht nur Hawaii und die Polynesier kennenlernte; seine Leute und andere Seemänner fanden Gefallen an dieser fremden Kunst und rasch entwickelten sich eigene Motive abseits von Tribal und Glauben. Zunächst ließen sich die Seefahrer von den Einheimischen tätowieren und schauten sich die Technik ab. Was folgte, war der Versuch, selbst zu tätowieren, was an Bord gegenseitig geübt wurde. Die herumreisenden Seeleute brachten Tätowieren in den Rest der Welt, wo es noch nicht so bekannt war, vor allem Europa. Zunächst waren die Hafenstädte zwangsläufig die Orte, wo sich an Land die ersten Tätowierer, oft ehemalige Seeleute, ansiedelten. Dieser neue Berufsstand sorgte dafür, dass sich mehr Kunst und Fingerfertigkeit entwickeln konnte. Außerdem sammelten die Seeleute nun von Hafen zu Hafen neue Tattoos – später ein Spiegel ihres Lebens und oft ihrer „Geliebten“. Im 19. Jh. waren Tattoos eine eindeutige Domäne der Männer, die zur See fuhren und dies wurde von der Gesellschaft allgemein sehr eng damit verbunden (also auch eine soziale Bewertung).
Mehr als 95% aller Seeleute waren Ende des 19. Jh. tätowiert. In dieser Zeit entstand also das Klischee, was sich bis heute so hartnäckig hält.
In Europa kam Mitte bis Ende des 19. Jh. eine ordentliche Anti-Stimmung gegen den Körperschmuck auf und man drängte das Image des Tätowierens in den Bereich des Verrückten und Kriminellen – kurzum: die Ächtung war eingeleitet, viele zehren in der heutigen Zeit noch von diesen Vorstellungen.
Trotzdem konnte dies nichts daran ändern, dass 1891 die elektrische Tätowiermaschine in New York erfunden wurde und Studios nur so aus dem Boden schossen. New York und andere Hafenstädte waren die Hochburgen.
In den Vereinigten Staaten kam die Tätowierung während des Bürgerkrieges wieder stark ins Kommen – patriotische Symbole dominierten. Später, während der Weltkriege, waren gleiche Neigungen bei den Soldaten zu erkennen – ein Stück Heimat, Glauben und Hoffnung auf der Haut tragen…
Neuzeit
Die Beweggründe sind verschieden, oft ist es ein Spiegel von Lebensstationen, Gruppenzugehörigkeit, Lebenseinstellung. Und all dies soll der Umwelt mitgeteilt werden – man ist sich bewusst, dass man möglicher Ablehnung begegnet, denn die Gesellschaft hat die geschichtlichen Hintergründe vergessen und Klischee-Urteile an die Stelle gesetzt.
In den vergangenen Jahren hat sich die „Art of Tattoo“ wieder stark verbreitet – im Fernsehen, in Werbungen und Kinofilmen werden sie gezeigt. Nicht nur die „Motorradszene“ hat Tattoos, bis zur Wall Street findet man sie (allerdings fast immer an Stellen, die mit Kleidung abgedeckt werden können).
Die Tattoo Motive
Moderne Tätowiermaschinen und die Fähigkeit des Tätowierers erlauben heute im Prinzip alle denkbaren Motive; die Farben wurden im Laufe der Jahre immer besser und vielfältiger. Was in den Anfängen immer nur in schwarz oder blau war, ist längst durch bunte Vielfalt ersetzt. Interessant ist die Auswahl des Motives, dessen also, was man dann ab dato jeden Tag tragen wird.
Ganz oben wird bei der Auswahl des Motives wird immer die Lebenseinstellung stehen – die Identifikation mit dem Tattoo.
Frauen und Tattoo Geschichte
In der Geschichte nicht. Wie schon erwähnt, war es keine Seltenheit, wenn Frauen in Nordamerika, der Südsee, Neuseeland und Hawaii etc. tätowiert waren. Maori Frauen liessen sich die Lippen schwarz färben, Samoa-Frauen kennen das Malu, einen Ritus, der das Erwachsenwerden einer Frau durch Tätowierung am Oberschenkel kennzeichnet.
Die viktorianische Zeit ließ es sicherlich nicht nur bei Frauen verpönt sein, tätowiert zu sein – das war eine allgemeine Stimmung.
Dann aber in den 60er und 70er Jahren kam das Tätowieren wieder in Mode und die 90er brachten einen Boom.
Frauen sind momentan die am schnellsten wachsende Gruppe der Tattoo Träger und jeder zweite Kunde im Tattoo-Studio ist eine Frau.
Tattoo Kunst in den 60er bis 90er Jahren in den USA
In den 60ern begann die neue Ära des Tattoos in den Vereinigten Staaten – der soziale Status sollte sich in den folgenden Jahrzehnten stark wandeln.
Es begann -wieder einmal- bei einer Gruppe, die weit davon entfernt war, allgemein anerkannt zu werden: es war die Zeit der sozialen Proteste, der Weltverbesserer und wie immer man sie nannte.
70er Jahre
Es kamen dann die Hippies und Anfang der 70er setzten die Rolling Stones ein Signal: jeder kennt die Ablehnung, die ihnen und den folgenden Musikern von Seiten der Mainstream-Bürger entgegen flackerte. Aber es ging ja auch um die neue Generation, die eine Möglichkeit des Protestes, des Anders-sein, darin sah.
Es war der Tattoo Künstler Lyle Tuttle (Spitzname Frisco Flyer) aus San Francisco, der die Rolling Stones, Daryl Hall, Peter Fonda und Janis Joplin ‚bearbeitete‘ und international in die Presse kam. California war auch einer der Vorreiter-Staaten in bezug auf eine neue Sichtweise dieser Kunstrichtung: so veröffentlichte 1982 das Büro des Governeurs eine Stellungnahme zur stattfindenen Tattoo-Messe, in der die Tattoo-Kunst als eine Urform der visuellen Künste bezeichnet wurde…
80er Jahre
Mitte bis Ende der 80er Jahre begann dann der Boom, denn Tattoo’s wurden trendy und in den 90er Jahren war der Durchschnittsbürger erreicht. Die Prominenz machte es öffentlich vor – Musiker, Schauspieler, Models, Sportler zeigten offen ihre Hautkunstwerke. Vielleicht waren zu dieser Zeit schon viele Normalbürger tätowiert, aber wer traute sich schon, dies offen zu zeigen?
Sportler
Im Sportbereich waren es einst nur die Boxer, dies hat sich schnell geändert.
Mindestens ein Drittel aller Sportler aus Football, Baseball, Basketball und fast allen anderen Sportarten sind tätowiert. Und sie sind oft Millionen-Verdiener, so wie Schauspieler und Models. Also schien das stereotype Denken, dass man nichts mit Tattoo erreicht, falsch. Entscheidend war sicher auch, dass Tattoos nicht mehr nur laienhaft plump gestochen wurden; auch werden Stellen ausgesucht, die dem Träger die Option offen halten, es zu zeigen oder nicht.
Existieren soziale Klassen?
In den letzten Jahren haben sich viele der nationalen, anerkannten Zeitungen und Magazine mit dem Phänomen auseinandergesetzt. Es wird einheitlich davon gesprochen, dass es keine sozialen Klassen mehr gibt, die vom Wunsch nach Individualität ausgeschlossen sind. Es ist in den Chefetagen der Wall Street und Madison Avenue zu finden, genau wie bei Büroangestellten, Anwälten und Arbeitern — Allerdings gibt es Unterschiede, wo am Körper sich Menschen verschiedener Berufsstände tätowieren lassen, da manche Firmen eine Art Sachzwang ausüben und sichtbare Tattoos u.U. nicht tolerieren .
Frauenanteil
Der Frauenanteil hat sich in den letzten 20 Jahren vor dem Jahrhundertwechsel vervierfacht und heute wird davon ausgegangen, dass jeder zweite Kunde eines Tattoo-Studios weiblich ist.
Statistik
Es wird geschätzt, das jeder 10te Amerikaner (10%) mindestens eine Tätowierung hat. Bei jüngeren Altersgruppen, speziell ab 18 bis 40 Jahren schwanken die Schätzungen und man kann von 25-35% ausgehen.
Legalisierung des Berufsstandes
1997-1998 mussten offizielle Stellen umdenken, denn Tätowieren war bislang oft nicht anerkannt oder sogar verboten. Die Behörden dachten über Legalisierung nach und gerade in Zentren wie New York, wo schon lange illegal vor sich hingearbeitet wurde, machte man die Kunst und den Beruf offiziell. Ebenso Nachbarstaat New Jersey.
Heute wird von nationaler Regierungsseite das Tätowieren einerseits als Kunstform und andererseits auch als Berufsstand anerkannt und es gibt keine nationalen Gesetze, jedoch hat jeder Bundesstaat Restriktionen und Auflagen für Tattoo-Künstler und Studios definiert.
Tattoo Kunst im Big Apple
New York ist die Geburtsstadt des ‚modernen‘ Tätowierens mittels mechanischer Hilfmittel. Samual O’Reilly, der einen Shop (Chatham Square) hatte, entwickelte aus dem ‚Electric Engraving Pen‘, den Thomas Edison erfunden hatte, das erste elektrische Tätowierungsgerät. Diese neue Technik machte es möglich, feinere bzw. präziere Linien und ausgefeiltere Motive zu erstellen und es wurde weniger Zeit benötigt.
Ein Tattoo in New York kostete in der Anfangszeit um die $2 !
In New York entwickelte sich rasch ein eigener Stil, der dann auch als ‚New York Style‘ bekannt wurde: Insgesamt ein klarer Stil mit breiten Linien und kräftigen Farben. Heute zeichnet den Könner freilich eine feine Linienführung und perfekte Abstufungen und Schattierungen aus.
Zurück nach New York City:
Für viele Jahre war Tätowieren in New York illegal. Man bekam man eine Tätowierung nur im Underground. New York City erlaubt erst seit 1997 wieder Tattoo Studios.
Die Legalisierung trug u.a. dazu bei, daß die Hygiene-Vorschriften nun kontrolliert werden können. Jeder Betreiber eines Studios braucht eine Lizenz, von der es mehr als 400 in New York City gibt.
Seit 1997 nun sind die Tattoo Studios in New York nur so aus dem Boden geschossen, East Village ist der Hotpoint – hier war die Kunstszene und Alternativszene seit jeher gut vertreten.
Die Auswahl an Tattoo’s reicht von tausenden fertigen Motiven hin bis zum Individualdesign. Tribal Motive in Schwarz-Grau stehen nach wie vor ganz oben auf der Liste der Wunsch-Motive, daneben Ansichten von Haustieren, Familienmitgliedern, religiöse Motive, Fantasy (& Bad) World und seit einiger Zeit auch ‚angesehene Kunstmotive der grossen Meister vergangener Tage‘, die eben -statt auf Leinwand- auf die Haut gebracht werden.
Einige der Tattoo – Künstler sind ehemalige Grafiker, die den Körper als neues Darstellungsmedium gefunden haben und von Ihrer Ausbildung ein Auge für Design haben und Fähigkeiten im Illustrieren. Die Preise variieren extrem, je nach Künstler und Ruf in der Szene – aber Stundensätze in New York zwischen $100-$200 für ein individuelles Design sind normal.
Die Top-Künstler der Szene haben Wartelisten bis zu zwei Jahren. Spontane Termine sind allerdings grundsätzlich eher die Seltenheit und meistens wird ein Termin vereinbart. Eine Anzahlung ist üblich.
Portfolio
Man sollte sich auf jeden Fall das Portfolio desjenigen zeigen lassen, der einen später ‚bearbeitet‘, damit man feststellt, ob er/sie grundsätzlich auch den Stil hat, den man sich vorstellt (schließlich ist es eine Sache fürs Leben…). Und man bekommt einen Eindruck bezogen auf die Qualität der Arbeit.
Wer nur einmal in die Szene eintauchen will und auch ‚Extremes‘ verträgt, der ist auf der im Mai stattfindenen New York Tattoo Convention richtig. Zu dieser Ausstellung kommen die Stars der Szene und zeigen ihre Fähigkeiten in spontanen Sitzungen – vielleicht eine Alternative, wenn man nicht auf einen Termin im kommenden Jahr warten will…. Die Tätowierungs-Künstler kommen aus der ganzen Welt, auf der letzten Ausstellung auch aus Deutschland.
Grundsätzlich sind Tattoos Vertrauenssache, schliesslich wird die Haut verletzt und Kontakt mit Blut ist normal.
Daher sollte sich jeder, der sich mit dem Wunsch trägt, sich tätowieren zu lassen, trotz der offiziellen Betreiberlizenz des Studios natürlich ausführlich über die Art der Sterilisierung der Instrumente und die Sauberkeit des Studios informieren. Ein gutes Studio wird dies ohnehin von sich aus machen. Wenn man bei diesem Wunsch auf Unverständnis oder lapidare Antworten stößt, sollte man nicht zögern zu gehen.